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WACHET & BETET - MYSTIK, SPIRITUALITÄT UND GEBET IN ZEITEN POLITISCHER UNRUHE (Studientage 2020)

Aktualisiert: 9. Feb. 2021



Oliver Dürr: Im Ende der Anfang: COVID-19 und die Auferstehung – Kommentar [01.09.2020]


Die derzeitige Corona-Pandemie ist eine globale Krise und sie fordert uns alle heraus. Krisen lösen bei unterschiedlichen Menschen zurecht verschiedene Reaktionen aus: So können die persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen der Krise zu Verunsicherung, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung führen, – und zwar mit gutem Grund, denn kein Mensch kann die mittel- und langfristigen Folgen der heutigen Entwicklungen wirklich abschätzen und entsprechende Prognosen müssen uns suspekt vorkommen.


Gleichzeitig inspirieren dieselben Herausforderungen auch neue und ermutigende zwischenmenschliche Initiativen, wissenschaftliche Kooperationen und politische Projekte, die in dieser Form bisher undenkbar gewesen wären. Schlussendlich geschieht im Moment der Krise aber auch eine unverhoffte Klärung der Prioritäten, die in der zerstreuten Geschäftigkeit unseres Alltags sonst kaum gelänge: Es wird auf einmal deutlich, wie vieles wir aus unserem Lebensplan ziemlich verlustfrei streichen können – und umgekehrt wird der Wert von vielem deutlich, worauf wir in der Krise verzichten müssen.


So erinnern wir uns unmittelbar an das, was wirklich wichtig ist: Gemeinschaft, Familie, Freunde, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Güte, Friede, praktische Unterstützung für hilfsbedürftige Menschen, Solidarität – und in all diesen Menschen und durch all diese Werte: Gott. Aber dieser Gott offenbart sich dem christlichen Glauben nicht nur direkt im Guten und Schönen, vielmehr muss sich dies bewähren in Trauer, Leid und Tod – in der Krise. Dieser Gott ist zugleich nah und dennoch schwer zu fassen, wo aber Gefahr ist, wächst auch das Rettende.


So kennt auch Jesus Christus diesen schmerzvollen Weg und es ist seine Auferstehung (die wir in der österlichen Freudenzeit feiern), die jenes Leiden transformiert und in ein neues Licht stellt. Entsprechend kennt der christliche Glaube von seinen Ursprüngen her bereits die Tradition des Memento mori: Gedenke Mensch, dass auch du einmal sterben musst (vgl. Ps 90,12). Wo diese Spiritualitätslinie nicht im Sinne einer zynischen Gleichgültigkeit oder im Zuge einer leeren Selbstverbesserungsideologie ausgelegt, sondern von einem robusten Glauben an die Auferstehung zehrt (und zwar Auferstehung derjenigen Welt in Raum, Zeit und Materie, innerhalb derer wir Menschen existiert), da wird sie uns in unserer heutigen Situation zur Quelle des Glaubens und der Hoffnung. In der grössten Krise erweist sich je neu die tragende Kraft Gottes, ja selbst der Tod wird verschlungen vom Sieg (vgl. 1 Kor 15,55).


Also ist die Aufforderung Jesu an seine Jünger im Garten Gethsemane, «Wachet und betet» (Mt 26,41), zwar ursprünglich in die tiefste Nacht der Ungewissheit hineingesprochen, wir aber haben heute die nachösterliche Gnade bereits empfangen. Unser Gethsemane ist schon ins Licht der ewigen Morgenröte getaucht und wir durchleben die Krise unserer Zeit im Zeichen der Auferstehung. Jesus Christus ist auferstanden und mit ihm ist der Welt ein unverlierbares Leben geschenkt. Es ist nun der Auftrag der Kirche, dieses neue Leben in unserer Gegenwart, das heisst nicht zuletzt im Kontext der Corona-Krise, zu inkarnieren, zu konkretisieren und ihm eine für die Welt greifbare Gestalt zu geben.



Oliver Dürr hat Theologie und Geschichte studiert und ist zurzeit Diplomassistent am Lehrstuhl für Dogmatik und Theologie der Ökumene an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg.

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